Plädoyer für das Masturbieren

(Zuletzt bearbeitet im August 2021 und Dezember 2021).

„Masturbation“ ist offenbar ein heisses Thema. Das war mir lange nicht bewusst, doch musst ich
mich schon früher einmal mit Vorwürfen herumschlagen, ich hätte mit meiner Kolumne die Masturbation „verherrlicht“. (Tatsächlich wurde gegen mich Beschwerde geführt, weil ich Masturbation nicht nur als ungefählich, sondern auch als gesundheitsfördernd beurteile. Die Beschwerde wurde dann fallengelassen, wohl wegen der geringen Aussicht auf Erfolg).

Die Sexualmedizin, der ich mich verpflichtet fühle, sieht in der Beziehung zu einem anderen Menschen den wichtigsten Schritt zum eigenen Glück und die Sexualität als Instrument zum Glück innerhalb der Beziehung. Dennoch habe ich mich entschlossen, das Thema „Masturbation“ wieder aufzunehmen auf diesen Männerseiten, denn es ist zweifelsohne ein sehr wichtiges Thema, und nicht mal nur für Männer, sondern auch für Frauen. Ich möchte jenen Männern helfen, bei denen Masturbation zu Gewissensbissen führen anstatt zu einem lustvollen Leben. Die Tagebücher König Ludwigs II. von Bayern sind ein beredtes Zeugnis, wie Masturbation, eine vollkommen natürliche Sache, zu Selbstzweifel und Befindlichkeitsstörungen führen können. Der König hatte sogar Messen lesen lassen, nachdem er wieder einmal „schwach“ geworden war, wohl in der Hoffnung, dass Gott ihm verzeihen möge.

Mein Entschluß, wieder über „Masturbation“ zu schreiben, entspringt auch der Idee, mich nicht einer Zensur beugen zu wollen. Nur weil es Leute gibt, die in der Selbstbefriedigung immer noch ein Machwerk des Teufels sehen, kann ich diese Kolumne den daran Interessierten nicht vorenthalten.

Eigentlich ist Sex „Kommunikation“.

Eigentlich ist Sex Kommunikation zwischen zwei sich liebenden Menschen. Das mit dem „Lieben“ trifft nicht immer zu, doch eines ist sicher: wenn man sich liebt, ist Sex am schönsten. Er dient ja auch dazu, Liebe zu vermitteln, ein Kompliment zu machen, der Partnerin zu zeigen, wie sehr man auf sie „steht“.

Auch „Essengehen“ hat so seine soziale Komponente. Man sitzt zusammen und isst, oder eigentlich ist es umgekehrt, man isst (oder trinkt), wenn man zusammen sitzt. Die Gesellschaft anderer Leute ist ein guter Vorwand „aufzutischen“, das ist in allen Kulturen so. Manchmal, ungern aber doch, isst man auch alleine. Was soll man denn machen, wenn sich keine Tischgesellschaft auftreiben lässt, und der Hunger ist ja ein großer Herrscher, der wichtigste und dominanteste Trieb, den es gibt. Verhungern sollte ja keiner, und Hunger leider ist ein quälendes Gefühl.

Alleine Essengehen kann schon mal schmecken, man muss ja nicht immer in Gesellschaft sein wollen, manchmal möchte man auch allein sein, meistens aber macht Alleineessen wenig Spass. Und schon sind wir auch schon da, wo ich hinwollte. Alleine Essengehen dient nicht einer sozialen Sache, es befriedigt den Hunger und hat keine soziale Komponente.

Ganz ähnlich ist das mit der Masturbation. Sie ist, – ….eben wie alleine essen gehen. Die Lust ist da, doch leider kein Partner*, oder der Partner* ist da und hat grad keine Lust oder man möchte sich eben mal selbst was Gutes tun. Wie auch immer, Männer und Frauen masturbieren, selbst in glücklichen Beziehungen.

Geschlechtsunterschiede

Grundsätzlich kann man davon ausgehen, daß beide Geschlechter masturbieren, schon in sehr jungen Jahren, selbst vor der Pubertät.

Doch Männer sind hier wesentlich fleissiger, das ist nun mal so beim Sex. Die Grundlage dafür ist der höhere Spiegel des Lusthormns Testosteron und das dadurch bedingte größere Interesse der Männer an okkasionellen Sexualkontakten. Dies gilt als erwiesen und wenn halt kein Partner* vorhanden ist, dann wird masturbiert, in jungen Jahren manchmal auch mehrmals täglich.

Männer masturbieren wesentlich häufiger als Frauen, obwohl die Frequenz mit zunehmendem Alter deutlich abnimmt. Hier unterscheiden sich Männer von den Frauen, die je älter sie werden umso häufiger masturbieren, die Frequenz der Männer aber niemals erreichen. Frauen haben einen noch stärker tabuisierten Bezug zur ganzen Thematik, sie masturbieren und wollen sich gar nicht bewusst sein, was sie da machen. „Beckenbodengymnastik“ oder „Entspannungsübungen“ nennen sie das dann, wahrscheinlich als Legitimation für vermeintlich verbotenes Treiben.

Masturbation ist nicht schädlich

Grundsätzlich ist es jedes Menschen private Entscheidung, ob er masturbiert oder nicht. Es gibt Menschen, deren Sexualität ganz primär aus Masturbation besteht, sexuelle Interaktion ist gar nicht geplant. Auch dies ist in Ordnung und nicht Anlaß zu Kritik, solange kein Leidensdruck daraus entsteht. Erst der Leidensdruck des Betroffenen macht Masturbation zur therapiebedürftigen Krankheit. Der Sexualmediziner* wäre dann der richtige Ansprechpartner, jedenfalls nicht der Beichtstuhl.

Masturbation ist nicht schädlich, so lange die Sexualität mit dem Partner* nicht darunter leidet (so man einen hat). Wenn dem so sein sollte, muss mittels Sexulatherapie der Grund dafür gefunden werden, denn für die Beziehung ist die Verweigerung der Sexualität ein bedrohlicher Zustand.

Das Verbot der Masturbation ist eine Errungenschaft mancher Religionen. Unter dem Vorwand dem Auftrag zur Fortpflanzung zu schaden, wurde Masturbation stimatisiert und als abnorm dargestellt. Das ist aber natürlich wissenschaftlich nicht haltbar.

Es gibt zahlreiche Abhandlungen, die zu erklären versuchen, warum es zu unterlassen sei, sich selbst zu befriedigen. Die einfachste Erklärung ist dabei, es handle sich um „Energieverschwendung“, und die dabei verschwendete Energie könne anders nutzvoller eingesetzt werden. Der Irrglaube, der Samen käme direkt aus dem Rückenmark und zu häufige Ejakulationen führten zur Rückenmarksschwindsucht oder aber auch, es stehe nur eine begrenzte Menge an Samen zu Verfügung und man(n) müsse „haushalten“, sind andere Gründe für die geforderte Enthaltsamkeit, die jeder Grundlage entbehren.

Kurz und gut: Masturbation ist nicht schädlich, das kann getrost so behauptet werden.

Quellennachweis für das Bild: dieser Text stammt aus einer Arbeit von Ernst Holzbach über „Cerebrasthenie duch Onanie“, veröffentlicht in der periodischen Druckschrift „Sexuologie“. Es beinhaltet eine Textstelle aus den Werken des Hippokrates und zeigt, wie wenig fundiert antike Vorstellungen von Biologie waren. Es ist daher wenig hilfreich, eine moderne Beurteilung der Sexualität des Menschen auf antiken Schriftstücken auf zu bauen.

Um viele an mich gerichtete Anfragen zu beantworten, nehme ich noch Bezug auf die „erlaubte Häufigkeit“ für Masturbation.

„Ist häufiges Masturbieren schädlich?“ wollen viele junge Männer wissen. Auch hier die klare Antwort: Nein! Junge Männer masturbieren je nach individueller Lust auch mehrmals täglich, das ist normal und zeugt von der ungeheuren sexuellen Energie männlicher Jugendlicher.

„Schädlich“ ist es dann, wenn Körper oder Psyche überfordert werden, also sich ein Zustand einstellt, den man als „Sexsucht“ beschreiben könnte. Sexsucht ist ein Zustand, bei dem Gedanken an Sex oder das Tun ein Ausmaß erreichen, daß andere Lebensbereiche zu kurz kommen. Dann wäre eine Therapie angezeigt.

Geschichte der Masturbation

Die Zivilisationsgeschichte in Europa begann für die Masturbation sehr hoffnungsvoll. Die alten Ägypter, aber auch die Griechen und die Römer hatten einen völlig unbedarften Zugang zur Selbstbefriedigung und offenbar keinerlei Schuld- oder Schamgefühle. Darstellungen auf griechischen Tonkrügen oder römische Statuen zeigen Männer bei ihrer lustvollen Tätigkeit und kein Mensch der Antike hat sich dabei etwas Schlechtes gedacht. Interessanterweise findet sich auch in der Bibel, weder im Alten, noch im Neuen Testament kein Wort über Selbstbefriedigung. Ich würde das gerne so verstehen, dass die „natürlichste Sache der Welt“ eben kein problematisches Thema war.

Erst das spätere Christentum begann sich unter Bezugnahme auf antike Autoren (Hippokrates) mit diesem Thema abwertend auseinander zu setzen. Warum die Masturbation dabei derart dämonisiert wurde ist bis heute nicht ganz klar, wobei Religionen ganz grundsätzlich Interesse daran haben, die Sexualität zu reglementieren, wahrscheinlich um Macht zu generieren. Das beginnt mit der Monogamie, und endet bei der angeordneten Keuschheit der Mönche, die auch die Masturbation umfasste. Der Abt Cassianus (360-430 n. Chr.) verbietet seinen Ordensbrüdern nicht nur die Onanie, sondern sogar die „angenehmen Gedanken“, die dabei aufkämen. Selbst der unwillkürliche, nächtliche Samenerguss, über den Männer gar nicht selbst entscheiden können, war für Cassianus der Ausdruck eines tiefen seelischen Problems.

Bedeutung der Masturbation für die Männer

Um nicht in den Verdacht zu geraten, Masturbation „verherrlichen“ zu wollen, eingangs noch eine Klarstellung: „Nichts ist so schön wie ein reges Sexualleben innerhalb einer durch Liebe geleiteten Beziehung!“ Wir alle wissen aber, dass das Glück einer liebevollen Partnerschaft nicht jedem beschieden ist und ich als Sexualmediziner weiss ein Lied davon zu singen, dass innerhalb von Beziehungen aus verschiedensten Gründen das Sexualleben nicht „rege“ sein muss.

Es ist eine Weisheit der Sexualmedizin, dass „Beziehungslosigkeit krank macht, nicht aber Orgasmuslosigkeit“, dennoch gilt auch für die männlichen Geschlechtsorgane: „Wer rastet, der rostet!“. Wir wissen heute, dass es regelmäßiger Ejakulationen bedarf um Männer gesund zu erhalten. Selbst der freilich verfolgte, aber dennoch sehr erfolgreiche Kirchengründer Martin Luther empfiehlt den Männern ausdrücklich zwei Ejakulationen pro Woche…!

Regelmäßige Ejakulationen sind also ein wichtiger Faktor bei der Gesunderhaltung des Männerkörpers.

Es kommt dabei nicht auf die Kohabitation, sondern auf die Ejakulation an, was nichts anderes heißt, als dass vom biologischen Standpunkt Masturbation genauso gesund ist, wie „richtiger Sex“.

Regelmäßige Ejakulationen halten nicht nur Sexualfunktionen in Schuss, sondern führen über die reaktive Ausschüttung von Hormonen zu einer Vielzahl von positiven Auswirkungen auf den Gesamtorganismus. Es kommt zur vermehrten Ausschüttung von Testosteron, Wachstumshormon, Melatonin, Prolactin, Oxytoxin, Vasopressin  und anderen endogenen Botenstoffen, die Glücksgefühl und Wohlbefinden verursachen.

Masturbationsphantasien

Masturbationsphantasien sind der „Film“ im Kopf, ohne den nichts geht.

Jeder Mann hat „seine“ eigenen Phantasien, die bei Sexualität und Masturbation bedient werden müssen um Sexualfunktionen erst möglkich zu machen.

Der Film, der hier abläuft hat konkrete Inhalte, immer dieselben, ohne die das Erreichen des Höhenpunktes kaum möglich ist. Man kann davon ausgehen, dass der Inhalt dieses „Films“ dem individuellen Erregungsmuster eines Mannes folgt, das im Erwachsenenalter als unveränderbar gilt. Das festgelegte Erregungsmuster nennt mnan auch sexuelle Präferenz (Vorliebe).

Beispiel: androphile (homosexuelle) Männer denken beim Sex – auf Grund des fehlenden Partners noch mehr bei der Masturbation – an Männer, gynäphile (Männer, die auf Frauen „stehen“) an Frauen. Die Masturbationsphantasie kann also Aufschluß geben über die sexuellen Vorlieben, die sexuelle Praeferenz.

Die Exploration von Masturbationsphantasien spielt in der Sexualmedizin eine wichtige Rolle. Leider werden sie nicht so einfach preisgegeben, vor allem dann nicht, wenn sie paraphilen (ungewöhnlichen) Inhaltes sind. Der Gedanke an Verbotenes bei der Masturbation ist ein bestgehütetes Geheimnis, es entlarvt nämlich die wahre sexuelle Praeferenz. Umso wichtiger ist es manchmal für den Therapeuten, sie dem Mann zu entlocken. Manchmal dauert es viele Therapiestunden, die Wahrheit ans Tageslicht zu bringen.

Masturbatonsphantasien spiegeln die wahren sexuellen Vorlieben wider, sie zu erfahren ist wichtiger Bestandteil einer Sexualtherapie.

*gilt für beide Geschlechter

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LESERFRAGEN zu dieser Thematik:

SCHADET ZU HÄUFIGES ONANIEREN DEM TESTOSTERONSPIEGEL?

Lieber….!

Sex ganz allgemein, ganz besonders aber der Samenerguss führt zu einem Ansteigen des Testosteronspiegels. Dies ist ja einer der Gründe, warum sexuelle Betätigung als gesundheitsfördernd eingestuft wird. Unter sexueller Betätigung ist hier auch die Selbstbefriedigung gemeint.

Wie in allen Belangen des Lebens gibt es auch hier Grenzen, denn – wie Du weisst – ist allzu viel ungesund. Sexsucht ist eine Störung der Psyche, die den Körper stresst und dann steigt anstatt des Testosterons das Stresshormon Cortisol.  Cortisol führt zu einer  Verminderung des Testosteronspiegels und zu sexuellen Störungen.

Die Frage, ab wann ein Mann nur „gut drauf“ ist oder ab wann er „sexsüchtig“ ist, lässt sich nicht so einfach sagen.  Um dies heraus zu finden, müsste ich mit dir ein Gespräch führen. Ich halte es jedenfalls für normal, wenn Männer auch mehrmals täglich zum Samenerguss kommen.
Schädlich ist zu häufiges Masturbieren erst dann, wenn dadurch andere Bereiche des Lebens zu leiden beginnen. Das nennt man dann Sexsucht.

MfG

Dr. Georg Pfau