Testosteron und Männlichkeit (Androgenizität)

Abstract

Dieser Artikel soll verdeutlichen, dass höhere Testosteronspiegel nicht automatisch bessere Testosteronwirkung bedeuten, aber auch dass Testosteronmangel eine behandlungsbedürftige Krankheit ist. Er soll auch in Erinnerung rufen, dass ein männerfreundlicher Lifestyle das Erscheinungsbild eines Mannes in Richtung Männlichkeit maßgeblich zum Besseren beeinflussen kann.

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Obwohl die Wissenschaft lehrt, dass alle Ethnien (Europäer, Schwarzafrikaner, Asiaten und indigene Völker) durchschnittlich über dieselben Testosteronwerte verfügen, werden sie in ihrer Androgenizität sehr unterschiedlich wahrgenommen. Unter Androgenizität (- auch das ist ein wissenschaftlicher Begriff -) versteht man den wahrgenommenen Grad der Männlichkeit, sie beschreibt wie „männlich“ ein Mann wahrgenommen wird. Statistischen Erhebungen zufolge sind dafür Parameter wie  Körpergröße, das Verhältnis von Schulterbreite zu Hüfte, ein kantiges Gesicht, der Bartwuchs ( je mehr desto besser – das erklärt auch die Renaissance des Bartes in unseren Tagen – ), der Teint (je dunkler, desto männlicher), das Strukturbild der Haut, die Stimmlage usw. ausschlaggebend.

Das Ausmaß der Androgenizität entscheidet nicht nur über das dem jeweiligen Mann entgegengebrachte sexuelle Interesse von Seiten der Frauen, sondern auch über seinen beruflichen Erfolg. So gibt es unter anderem einen messbaren Zusammenhang zwischen Körpergröße und Einkommen, d.h, je größer ein Mann ist, desto höher sein Einkommen (Quelle: SPIEGEL online).

Über die größte Androgenizität unter den Ethnien verfügen zweifelsohne die Schwarzafrikaner, gefolgt von den Europäern, am Ende der Skala liegen die Asiaten. Es gibt auch innerhalb der europäischen Bevölkerung ein Androgenizitätsgefälle von den „rassigen“ Südländern zu den „kühlen“ Nordischen. Das alles sagt natürlich nichts über das tatsächliche sexuelle Verhalten des Einzelnen aus, es ist lediglich ein Indikator für sexuelle Attraktion (Anziehungskraft). Der schon bei den Römern definierte „Primat der Virilität“ hat auch heute noch seine Bedeutung: trotz veränderter gesellschaftlicher Ansprüche hat sich an der Präferenz der Frauen nichts geändert: sie bevorzugen „richtige“ Männer.

Dass veränderte Gesellschaftsstrukturen an der sexuellen Präferenz von Frauen nichts ändern, beschrieb auch schon der Wiener Verhaltensforscher Karl Grammer. Ihm war aufgefallen, dass trotz fortschreitender wirtschaftlicher Unabhängigkeit der Frauen deren Präferenz für gut verdienende Männer weiterhin bestehen bleibt (obwohl sie sehr gut selbst für sich sorgen könnten). Solche Erkenntnisse beweisen, dass die Spielregeln der Sexualität nur zum geringen Teil erworben sind, sondern im wesentlichen genetisiertes Verhalten darstellen. Ergo dessen lassen sie sich nicht verändern.

Zurück zum Testosteron. Natürlich ist Testosteron (und dessen Metaboliten) für die Androgenizität eines Mannes verantwortlich. Wie aber schon erwähnt, können Männer mit vergleichbar hohen Testosteronspiegeln mit einer sehr unterschiedlichen Androgenizität ausgestattet sein.

Dafür gibt es verschiedene Gründe:

1. Testosteronrezeptoren sind Eiweißmoleküle, die an den Zellen anhaften und an die das in der Gewebsflüssigkeit schwimmende Testosteron andockt. Jede einzelne Zelle jedes einzelnen Gewebes im Körper eines Mannes verfügt über Testosteronrezeptoren, allerdings in einer sehr unterschiedlichen Dichte und auch Qualität. Rezeptordichte und –qualität sind primär genetisch determiniert, sie sind also einem Mann aus dem Erbgut seiner Eltern vorgegeben und unveränderbar. Diese genetischen Variablen bestimmt maßgeblich die Androgenizitätsgrade der Ethnien. Die unterschiedliche Ausstattung mit Testosteronrezeptoren bedingt, dass gleiche Testosteronspiegel unterschiedliche Ergebnisse bringen können.

2. SHBG. Das Sexualhormonbindende Globulin ist ein Eiweißstoff, der Testosteron an sich bindet und deaktiviert. An SHBG gebundenes Testosteron steht also in seiner Wirkung nicht zur Verfügung. Es ist daher selbstredend, dass je höher der SHGB – Spiegel desto geringer die Testosteronwirkung und desto geringer der Androgenizitätsgrad eines Mannes ist. Der SHGB –Spiegel steigt mit zunehmendem Alter, weswegen der freie, wirksame Anteil an Testosteron mit dem Alter abnimmt. Dies ist ein wichtiger Faktor für die Erklärung des Testosteronmangelsyndroms älterer Männer. Die Menge des SHGB im Blut eines Mannes ist aber auch lifestyleabhängig. Weil bei übergewichtigen Männern das weibliche Hormon Östradiol ansteigt und dieses steigernd auf die SHGB-Bereitstellung wirkt, wirkt Übergewicht senkend auf den Spiegel des freien Testosteron. Auch Alkohol hat dieselbe Wirkung. Er erhöht den Östradiolspiegel und somit auch das SHGB; vermindert also das freie Testosteron. Bringen wird die Sache mit dem SHGB auf den Punkt: gegen den Anstieg mit zunehmendem Alter ist kein Kraut gewachsen, wohl aber gegen den negativen Effekt von Übergewicht und Alkohol. Beides lässt sich leicht vermindern.Nicht unerwähnt möchte ich lassen, dass hohe Testosteronspiegel den SHGB – Spiegel senken. Die Behandlung testosteronschwacher Männer mit Testosteron wirkt nicht nur über die Erhöhung des Hormonspiegels positiv auf einen Männerkörper, sondern auch über eine Senkung des SHGB.

3. Metabolisierung. Testosteron wird mit Hilfe verschiedener Enzyme in andere Substanzen umgewandelt. Einer der wichtigsten, die Androgenizität eines Mannes maßgeblich beeinflussender Metabolit, ist das DHT (Dihydrotestosteron). DHT ist ein stark wirksames Androgen, hohe Spiegel führen zu einem starken Sexualtrieb und einem markant männlichen Erscheinungsbild, bei zu hohen Spiegeln droht Haarausfall und Glatzenbildung. Sollte dies der Fall sein, kann man mit Hilfe eines Medikamentes diesen Vorgang unterbrechen.

Sehr viel bedeutungsvoller für das Erscheinungsbild eines Mannes ist aber die Umwandlung von Testosteron in das weibliche Sexualhormon Östradiol. Dieser Vorgang ist maßgeblich abhängig vom Körperfettanteil und vom Alkoholkonsum eines Mannes. Es ergeben sich hier also ganz wesentliche Aspekte für den Sinn einer Lifestyleoptimierung. Östradiol vermindert die Androgenizität eines Mannes ganz wesentlich, weil es als weibliches Sexualhormon sinngemäß verweiblichend wirkt, weil es aber auch die Testosteronsynthese senkt und dessen Bindung an SHGB steigert.

Diese Vorgänge machen deutlich, dass die Androgenizität eines Mannes ganz wesentlich vom Lifestyle abhängt, konkret von der Vermeidung von Übergewicht und zu reichlichem Alkoholgenuss.

Dr. Georg Pfau, Männerarzt, Sexualmediziner

Überarbeitet im Juni 2021