Das Vertrauenshormon Oxytocin

„Vertrauen“, ein zutiefst emotionaler Begriff, ein klassisches Thema der Psychologie, weit weg von der Somatik der Medizin. Und doch ein rein biologischer Vorgang? Was sind Gedanken, was sind Bilder, was ist Vertrauen? Alles spielt sich im Kopf ab und ist doch reine Biologie, denn auch das Gehirn ist Biologie, eigentlich Biochemie, somit auch das Denken und die Emotionalität. „Vertrauen“ wird durch ein Hormon vermittelt. Klingt undenkbar, ist aber so!
Oxytocin stammt wie viele andere Hormone aus der Hypophyse, der Hirnangangdrüse. Es wird gemeinsam mit dem Vasopressin im Hypophysenhinterlappen gebildet. Biochemisch handelt es sich um ein Eiweißhormon aus nur 9 Aminosäuren, es ist also ein Oligopeptid.

Die altbekannte Wirkung von Oxytocin
Oxytocin spielte bisher in der Sexualmedizin keine Rolle. Es ist ein Hormon mit wichtigen Funktionen für Schwangerschaft, Geburt und Stillperiode, weckte daher allenfalls Interesse bei Geburtshelfern und Gynäkologen.
In jedem Lehrbuch ist seine Wirkung auf die glatte Muskulatur der Gebärmutter beschrieben. Oxytocin spielt eine wesentliche Rolle bei der Wehenauslösung und bei der Geburt. Die pharmakologische Wirkung geht in genau dieselbe Richtung. Man kann durch Verabreichung von Oxytocin Wehen auslösen und auch verstärken.
Oxytocin hat auch eine Wirkung auf die glatten Muskelzellen der Brustdrüse, es wirkt „galaktokinetisch“. Oxytocin presst die Milch aus den Milchdrüsen und ermöglicht den Stillvorgang.
Stillen ist daher ein sehr wirksamer Reiz für die Freisetzung von Oxytocin!

Die „neue“ Wirkung von Oxytocin
Neueste Forschungen aus der Sexualmedizin geben dem Oxytocin eine weitere wichtige Bedeutung. Es weckt daher auch das Interesse der Präventions- und Sexualmediziner.
Oxytocin deaktiviert das Stresszentrum des Gehirns (die Corpora amygdaloidea, die Mandelkerne), es deaktiviert das Kritikzentrum im Frontalhirn und führt dazu, dass „Liebe blind macht (Shakespeare)“. Außerdem kommt es zu einer Inaktivierung von bereits freigesetzten Cortisol weswegen Angst- und Alarmreaktionen vermindert werden.
Oxytocin vermittelt daher die salutogenetische (gesundheitsfördernde) Wirkung von erotischen, zärtlichen  Paarbeziehungen. Es ist unerlässlich für den Aufbau einer vertrauensvollen Mutter-Kind-Beziehung. (K.Beier, Charité, Berlin).
Komplizierte Studien belegen, dass oxytocingesteuerte  Menschen besser fähig sind, vertrauensvolle Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen, ohne aber die Risikobereitschaft zu erhöhen. Es fördert das Vertrauen in andere Menschen, nicht in das Lotteriespiel.

Oxytocin, Paarbeziehung, soziale Kontakte
Oxytocingesteuerte Männer und Frauen neigen zur Deeskalation von Konflikten, gehen im Streit behutsamer miteinander um und vertragen sich wieder schneller. Sie schauen anderen Leuten eher in die Augen, während Autisten ziellos und flatternd irgendwelche Punkte im Gesicht fokussieren.
Menschen ohne Liebe und Zärtlichkeit leben im Oxytocinmangel. Sie sind Anderen gegenüber kritischer, neigen zu Misstrauen und Animositäten.

Oxytocin und Stillen
Der Stillreiz bei der Mutter, aber auch die beim Stillen dem Kind entgegengebrachte Zärtlichkeit führt zum Aufbau einer gegenseitigen Vertraulichkeit. Das Kind fühlt sich oxytocinmoduliert angenommen und geliebt. Stillen ist also ein wesentlicher Stimulus für ein vertrauensvolles Mutter-Kind-Verhältnis. Dies sei vor dem Hintergrund der weit verbreiteten mangelnden Bereitschaft junger Mütter zum Stillen betont. Die „Flasche“ ersetzt nicht das Stillen, denn es ist ein Unterschied zwischen einer sterilen, aseptischen Glasflasche und der Mutterbrust. Das mutwillige Verweigern der Mutterbrust stört die frühkindliche Entwicklung.

Oxytocin und Väterkarenz
Die Bedeutung des Oxytocin für die Entwicklung des Kindes ist auch ein Argument gegen den herrschenden Trend, die Karenz eines „Vaters“ mit der der Mutter gleichzusetzen.
Selbstverständlich sind Männer berufen Mutterpflichten zu übernehmen, wenn es dafür einen zwingenden Grund gibt. Die Fürsorge des Vaters aber mit der der Mutter gleichzusetzen, also als „ebenbürtig“ zu propagieren, ist schlichtweg ein Fehler. Aus Sicht des Biologen ist es sicher nicht dasselbe, ob ein Säugling von seiner Mutter versorgt wird oder von seinem Vater.
Meistens sind die Väter schlechtere Mütter, denn Väter stillen schlechter als Mütter!

Oxytocin und Partnerschaft
Oxytocin hat durchwegs positive Auswirkung auf Männer und Frauen und deren Umgang mit den Mitmenschen. Es festigt die Vertrauensbasis in sich selbst und zum sozialen Umfeld ohne die Risikobereitschaft zum Lotteriespiel zu erhöhen.
Reize zur Oxytocinausschüttung sind das Stillen, aber auch jede durch den Partner oder die Eltern vermittelte Zärtlichkeit.

Die oxytocinmodulierte Bereitschaft, sich vertrauensvoll auf andere Menschen einzulassen, unterstreicht den salutogenetischen Effekt einer zärtlichen Paarbeziehung.