Der verzögerte oder ausbleibende Orgasmus
(Zuletzt bearbeitet im August 2021).
Unter einem Orgasmus versteht man den sexuellen Höhepunkt. Er vereint körperliches, im Genitalbereich empfundenes Lustgefühl bei gleichzeitigem psychoemotionalen Glücksgefühl. Fälschlicherweise wird der Orgasmus vor allem von Männern als der eigentliche Sinn von Sexualität gesehen. Dies ist der Ausdruck der Phallus- und Orgasmuszentriertheit der Männer, die mit fortschreitendem Alter zunehmende Probleme aufwirft. In meiner Praxis ist der Alterungsprozess die häufigste Ursache für männliche Orgasmusstörungen, vor allem bei beschnittenen Männern. Dass beschnitte Männer wegen eines Sensibilitätsverlustes ihrer Eichel öften an Orgasmusstörungen leiden (können) wurde lange bestritten. Dazu gibt es jetzt aber eine wissenschaftliche Untersucung der Universität in Gent, die das Gegenteil beweist. Männer, die beschnitten werden sollen, müssen darüber aufgeklärt werden.
Ausgelöst wird der Orgasmus durch sensible Nervenendigungen an der Eichel, dem Lustzentrum des Mannes. Durch rein mechanische Reibung, koital (in der Scheide), oral (durch den Mund) oder auch manuell (durch die Hand) werden Muskelkontraktionen im Bereich der Harnröhren-, Penis- und Beckenbodenmuskulatur ausgelöst, die lustvoll erlebt werden. Gleichzeitig kommt es zu einem Ausschießen (Ejakulieren) des Samens. Die Kontraktionen kann man durch Auflegen der Hand auf Penis oder Beckenboden ertasten, der Penis zuckt im Rhythmus der Muskelkontraktionen.
Anders als bei der Frau ist der Orgasmus beim Mann für die Fortpflanzung unerlässlich, da er mit der Ausstoßung des Samens einhergeht. Der Orgasmus hat für Männer daher eine wesentlich andere Bedeutung als bei der Frau.
Das Fehlen des Orgasmus wird von Männern und deren Partnerinnen als „Störung“ oder als „persönliches Versagen“ empfunden. Frauen fühlen sich am fehlenden Orgasmus des Mannes häufig mitschuldig, weil sie denken als Liebhaberin zu versagen, nicht in der Lage zu sein, den Partner zu befriedigen. Dies führt zu Zweifel und Selbstvorwürfen. Männliche Orgasmusstörungen haben daher auch Bedeutung für die Beziehung.
Epidmiologie
Auch wenn Orgasmusstörungen bei Männern sehr viel weniger häufig vorkommen als bei Frauen, sind sie nicht so selten. Etwa 8% der Männer geben an, im letzten Jahr mehrere Monate lang unter einem fehlenden Orgasmus gelitten zu haben.
Begriffsbestimmung
In der Sexualmedizin unterscheidet man die „Ejaculatio retarda“, den verzögerten Orgasmus von einer Ejaculatio deficiens, dem fehlenden Orgasmus. Der verzögerte Orgasmus wird von Männern anfangs häufig als Vorteil empfunden, weil sie denken, ihre Partnerin länger befriedigen zum können. Durch Schmerzen der Frau, durch das Gefühl, der Sex sei harte Arbeit und müsse verdient werden, belastet auch diese Störung sehr bald die Beziehung und wird als Problem empfunden.
Unter einer koitalen Orgasmusstörung versteht man die Unfähigkeit durch Geschlechtsverkehr (Koitus) einen Höhepunkt zu erleben, sehr wohl aber durch orale oder manuelle Befriedigung.
Ursachen für Orgasmusstörungen
Grundsätzlich kann man psychosomatische Störungen von rein organischen Störungen unterscheiden.
Psychosomatische Störungen sind die Folge von tieferliegenden Konflikten (Inzestängste, Kastrationsängste, Ängste, die Frau zu verletzen; Ängste vor Kontrollverlust, Ängste vor Samenverlust) oder von Konflikten in der Beziehung. Hier ist eine genaue Sexualanamnese hilfreich, vor allem ist es interessant, ob die Orgasmusstörung nur bei einer bestimmten Partnerin auftritt (also situativ ist) oder ob bei der Masturbation dieselben Beschwerden vorliegen. Aus solch einer Befragung kann der Therapeut wertvolle Schlüsse ziehen. Die Lösung des Problems ist nach einer Abklärung der Ursache und nach einer Untersuchung des Mannes eine Sexualtherapie, wenn möglich unter Einbeziehung der Partnerin. Manchmal ist auch eine Psychotherapie des Mannes erforderlich, v.a. wenn es gilt, tiefliegende Konflikte auf zu arbeiten.
Die Ursache für den organischen Orgasmusverlust kann primär oder secundär sein. Secundär sind Orgasmusstörungen dann, wenn sie die Folge von anderen Erkrankungen (z.B. von Prostatitis) sind oder durch Medikamenteneinnahme verursacht werden ( z.B. Viagra oder ähnliche Präparate, Antidepressiva). Von primärer Orgamusstörung spricht man dann, wenn der Orgasmusablauf selbst gestört ist, etwa durch eine Schädigung spinaler Nervenfasern oder dem altersbedingten Verlust der Eichelsensibilität .
Altersbedingte Orgasmusstörung und Beschneidung
Einmal mehr stellt sich die Beschneidung des männlichen Gliedes als kontraproduktiv heraus. Bei einer Beschneidung wird die schützende Hülle (die Vorhaut, Praeputium) der hochsensiblen Eichel chirurgisch entfernt, meist ohne eine medizinische Indikation. Der alterungsbedingte Sensibilitätsverlust der Eichel wird durch das Freiliegen der Eichel beschleunigt, sodass bei älteren beschnittenen Männern sehr viel öfter Orgasmusstörungen auftreten als bei unbeschnittenen. Eine Therapie ist hier meist nicht möglich. Die Männer berichten, dass der Orgasmus bei der Masturbation einwandfrei funktioniere, beim Koitus jedoch nicht (koitale Orgasmusstörung). Bei der Masturbation kann die Reibungsintensität an der Eichel durch den Mann selbst geregelt werden.
Vorgangsweise
Die Orgasmusstörung, auch der verzögerte Orgasmus gehört zum Sexualmediziner. Sie kann Symptom für eine Systemerkrankung sein, daher muss die Ursache abgeklärt werden. Sollte eine organische Ursache vorliegen, muss diese behoben werden.
Bei den psychosomatischen Störungen ist das nicht so einfach; die Exploration erfordert Geduld, List und ausreichend Zeit. Die Partnerin muss beigezogen werden. Meist lohnt sich dieser Aufwand…