Eßstörungen bei Männern
(Zuletzt bearbeitet im August 2021).
Eßstörungen sind die Folge eines Schönheits- und Jugendlichkeitswahns der modernen Gesellschaft. Auch Männer versuchen ihre sexuelle Anziehungskraft zu verbessern um noch besser anzukommen, noch mehr Sex zu haben, noch mehr Akzeptanz zu erreichen. Dieses übersteigerte Bedürfnis nach Akzeptanz führt zur Verzerrung der Wirklichkeit und zu psychischen Erkrankungen. Der Schlankheitswahn und die damit verbundenen krankhaften Bemühungen „jugendlich“ auszusehen sind die Grundlage dafür. Sie führen nicht zum gewünschten Erfolg, da sie ja nicht wirklich „jung“ machen, deshalb werden sie in ihrer Ausprägung immer schlimmer.
Grundsätzlich sind Neurosen heilbar, die Heilung bedarf jedoch eines gewissen Aufwandes. Die Wunderpille dagegen gibt es leider nicht. In zeitraubender Gesprächstherapie ist es erforderlich, die Hintergründe zu erarbeiten um schließlich eine Gegenstrategie zu entwickeln.
Wer ist betroffen?
Eßstörungen gelten in der Medizin als „weiblich“. Das Geschlechterverhältnis bei Anorexia nervosa beträgt 1:10, das heißt, es sind zehn mal mehr Frauen und Mädchen davon betroffen als Männer (Andersen 1999). Bei den Männern sind vor allem Homosexuelle von Eßstörungen betroffen. Die Praevalenz wird hier mit 20% angeben. Rein rechnerisch sind daher heterosexuelle Männer kaum von Essstörungen betroffen. Dieser Umstand unterstreicht einmal mehr die Ähnlichkeit des homosexuellen Gehirns mit dem weiblichen. Auch die Motive scheinen bei schwulen Männern und Frauen dieselben zu sein: der sexuell bedingte Schlankheitswahn. Mädchen und schwule Männer wissen, dass sie in den Augen ihres bevorzugten Geschlechts, der Männer eben, eher Erfolg haben, wenn sie schlank sind. Der Trugschluss ist allerdings, dass die Rechnung „je schlanker, desto mehr Verehrer“ nicht aufgeht, denn Männer schätzen auch Natürlichkeit, Unkompliziertheit und Authentizität. Von einer Eßstörung betroffene Patienten sind aber häufig das komplette Gegenteil davon, nicht selten neurotisch und von Zwangsvorstellungen beherrscht.
Die ersten Anzeichen…
Die ersten Anzeichen für eine sich entwickelnde Eßstörung sind eine ungewöhnlich starke Beschäftigung mit dem Themenkreis „Gewichtsreduktion und Diät“, obwohl die Figur des Betroffenen kaum einer Korrektur bedürfte. Wenn Männer diese Thematik in den Mittelpunkt ihres Lebens stellen, ist es meistens nicht mehr weit zu Krankheitssymptomen. Eßgestörte Männer verlieren die Lust am Essen, sie vermeiden gemeinsame Essen mit anderen Kumpels und vertreten sehr sonderbare Meinungen.
Auffällig sind allzu strikte Diäten, intensives Training mit dem Ziel, Gewicht abzubauen und natürlich plötzlicher Gewichtsverlust trotz fehlendem Übergewicht.
Durch die mit Eßstörungen einhergehende Mangelernährung kommt es sehr bald zu richtigen Krankheitssymptomen. Die Jungs machen einen müden, ausgezehrten und meist unglücklichen Eindruck, sind nicht belastbar und häufig krank. Meist kommt es auch zu Veränderungen der Psyche in Richtung Depression oder ganz einfach zu auffälliger Gereiztheit und Stimmungsschwankungen.
Orthorexia nervosa
Unter Orthorexia nervosa versteht man das zwanghafte Bemühen sich gesund zu ernähren. Sie ist ein neues Krankheitsbild, aus meinen eigenen Erfahrungen aus der Praxis nimmt diese neurotische Störung dramatisch zu, vor allem bei schwulen Männern. Voraussetzung für eine krankhafte Ausprägung ist der Umstand, dass die Bemühungen sich gesund zu ernähren das gesamte Leben beherrschen und andere Lebensinhalte darunter leiden. Offenbar ist ein ganz gewisser Typ von Mann dafür anfällig, der naturverbundene, sozial engagierte, der sich von der Konsumgesellschaft abgewendet hat. Er versucht ganz bewusst, dem traditionalistischen, männlichen Rollenklischée nicht zu entsprechen und ist mit seiner weiblichen Seite im Einklang. Üblicherweise ist er militanter Vegetarier und Nichtraucher, was ich natürlich keineswegs kritisiere. Kritisiert wird von mir nur die Hingabe, mit der er diese Ziele in zwanghafter Weise verfolgt.
Die Durchsetzung gesunder Ernährung wird zum Lebensmittelpunkt unter Vernachlässigung anderer wichtiger Lebensinhalte.
Anorexia nervosa
Unter Anorexia nervosa versteht man die klassische Magersucht. Laut Medizinschlüssel ICD-10 ist das Körpergewicht mindestens 15% unter den zu erwartenden Werten. Dennoch wird weiterhin versucht, es zu reduzieren. Dem Patienten sind dabei alle Mittel recht, inklusive dem selbstinduzierten Erbrechen.
Wie sehr es sich hier um eine psychische Störung handelt, kann man an einer begleitenden cognitiven Verzerrung erkennen. Trotz Untergewicht werden bestimmte Körperpartien immer noch als „zu dick“ wahrgenommen.
Die verminderte Versorgung des Körpers mit Energie führt zu Krankheitssymptomen. Bei Männern sind das der Verlust von Libido (sexueller Lust) und Potenz, davor noch die Verzögerung der pubertären Entwicklung.
Anorexia-nervosa-Patienten sind schwer krank und bedürfen kompetenter Hilfe. Um das Übel an der Wurzel zu packen ist eine Sexualtherapie und Psychotherapie nicht verzichtbar.
Bulimie (ICD-10: F 50.2)
Die Bulimie könnte man am besten mit Ess-Brech-Sucht übersetzen. Die Ziele sind dieselben wie bei der Anorexie, doch ist die Bulimie begleitet durch eine unwiderstehliche Gier nach Nahrungsmitteln und Essattacken.
Das Verhalten von Bulimiepatienten unterscheidet sich daher in eine ganz bestimmten Weise von Anorexiepatienten: den Bemühungen, die Esssucht unter Kontrolle zu bringen. Leider werden auch hier wieder Methoden angewendet, die dem Körper eher Schaden zufügen als ihm zu helfen. Die Patienten greifen zu entwässernden Medikamenten, Abführmitteln, Appetitzüglern oder gar zu Schilddrüsenhormonen, um den Grundumsatz anzukurbeln.
Die Bulimie gilt als eine Weiterentwicklung einer nicht therapierten Anorexie. „Meine“ Bulimiefälle bei Männern sind ausschließlich sehr junge Homosexuelle , die kaum der Pubertät entwachsen sind. Auch sie sind bereits von ihrer Krankheit gezeichnet und weisen eine massive psychosomatische Verstrickung auf.
Die Folge ist soziale Isolation, Einsamkeit und Depression.
Bigorexia nervosa (Harvey und Robinson 2003)
Die Bigorexie ist eine weitere Eßstörung, die erst 2003 der Liste der Eßstörungen hinzugefügt wurde (Havey und Robinson, 2003).
Wie der Name schon sagt, handelt es sich hier um den Wunsch „big“, also gewaltig und mächtig zu sein. Vereinfacht gesagt handelt es sich hier um diejenigen Bodybuilder, die den Erfolg ihres Trainings auf der Waage messen und nicht im Spiegel. Dies ist auch jene Gruppe an Männern, die in ihrer zwanghaften Verzweiflung auch vor verbotenen Substanzen (Anabolika) nicht zurückschrecken. Dabei wollen sie keineswegs an Wettkämpfen teilnehmen, sondern lediglich ihr Ziel, „Masse“ auf zu bauen beschleunigen.
Groß zu werden ist nicht selten der Wunsch relativ klein gewachsener Männer, die die fehlende Körpergröße durch Massenzunahme wett zu machen versuchen. Auch diese Essstörung ist also eine Folge von mangelndem Selbstwert und cognitiver Verzerrung.
Die cognitive Verzerrung besteht darin, dass es einerseits nicht möglich ist, fehlendes Längenwachstum durch Breitenwachstum zu ersetzen, ganz im Gegenteil, massige Männer sehen eher kleiner aus als größer, und dass es ebenso nicht möglich ist, fehlende Muskulatur durch Fett zu ersetzen.
Binge-Eating-Störung (erfasst lt. DSM-IV)
Binge eating kann man als Esssucht oder Fettleibigkeit bezeichnen. Selbstverständlich ist auch hier die Ursache im psychosomatischen Bereich zu suchen und mit entsprechender Geduld auch zu finden.
Die Motivation ist der ständige Drang nach Selbstbelohnung, der die Folge von Enttäuschungen sein kann. Es handelt sich also um eine Neurose im klassischen Sinne.
Die Merkmale dieser Krankheit sprechen für sich: es wird wesentlich schneller gegessen als normal, und es wird bis zu einem unangenehmen Völlegefühl gegessen, obwohl man sich körperlich nicht hungrig fühlt. Die betroffene Person isst alleine, weil sie sich für ihr Essverhalten schämt.
Dass das aus diesem Verhalten resultierende extreme Übergewicht sehr bald zu körperlichen und psychischen Folgeschäden führt, ist selbstredend. Sozialer Rückzug, Isolation und Einsamkeit stehen auf der Seite der psychischen Folgen den biologischen gegenüber: Überlastung des Herzens, des Kreislaufes, des Skeletts, Diabetes und Gelenkschäden.
Solche Patienten haben daher eine wesentlich verringerte Lebenserwartung, bedürfen daher einer dringlichen Therapie.
Therapie
Alle oben beschriebenen Essstörungen bedürfen einer Therapie, weil sie unbehandelt zu psychischen und physischen Folgeschäden führen. Für die Männer hat sich herausgestellt, dass sie wesentlich weniger bereit sind, sich einer Therapie zu unterziehen. O-Dea und Abraham zeigten in einer Studie (2002), dass 20% der männlichen College-Studenten Merkmale von Eßstörungen aufweisen, kein einziger des untersuchten Kollektivs begab sich aber in Behandlung.
Die Folgen von Eßstörungen sind daher bei Männern wesentlich fataler als bei Frauen: Deter et al.fanden 1998 heraus, dass der Anteil der verstorbenen männlichen Patienten mit 20% deutlich höher als bei den Frauen liegt.
Grundsätzlich hat eine Therapie bipolar zu sein: es hat sich herausgestellt, dass interpersonelle und intraphysische Prozesse zu berücksichtigen sind. Die Eßstörungssymptomatik bedarf einer ähnlich großen Zuwendung wie die dahinter stehenden Konflikte.
Die Ziele einer Behandlung sind das Verstehen der Zusammenhänge, das Lösen von Konflikten, die Steigerung des Selbstwertes, das Erlernen von Stressbewältigungsstrategien.