Übersäuert?
Das Geschäft mit der Übersäuerung blüht!
Die „Übersäuerung“ des Körpers wurde in den letzten Jahren zu einer allgemein etablierten Ursache für die verschiedensten Krankheitsbilder hochgepusht. Patienten reden von „Übersäuerung“ ihres Körpers in einer Selbstverständlichkeit, als ob es dieses Krankheitsbild wirklich geben würde.
Dabei ist das allermeiste davon reine Scharlatanerie. Und ein probates Mittel, Umsätze zu machen, – mit Medikamenten die nichts nützen (aber wenigstens ungefährlich sind!).
Der Säure-Basen-Haushalt des menschlichen Organismus ist streng reglementiert und unterliegt präzise funktionierender Regulationsmechanismen. Kleinste Verschiebungen im pH Wert eines Körpers führen zu lebensbedrohlichen Zustandsbildern. Grundsätzlich sind das Blut und daher auch der gesamte Körper schwach basisch eingestellt, – also nicht sauer! – saures Milieu gibt es nur ganz gezielt in jenen Geweben oder Organen, wo dies von der Natur gewollt ist.
Da gibt es zunächst einmal den Magen, dessen pH-Wert (dieser beschreibt das Ausmaß des Säuregrades) extrem niedrig ist. Mit Hilfe der dort aktiven Salzsäure werden Nahrungsmittel verdaut und Infektionen abgewehrt, denn gemeinsam mit der Nahrung essen wir massenhaft Bakterien und andere Mikroorganismen. Der Magen muss also sauer sein, eine Übersäuerung des Magens gibt es angesichts seines extrem sauren Milieus nicht. Saures Aufstoßen ist auch nicht ein Zeichen für eine „Übersäuerung“ des Magens oder gar des gesamten Körpers, wie ich das häufig zu hören kriege, sondern lediglich das Zeichen dafür, dass der Mageneingangsschließmuskel (die Cardia) undicht ist. Dafür gibt es die verschiedensten Gründe, die häufigsten sind Nikotin, Alkohol, Kaffee oder Übergewicht. Nur eines ist saures Aufstoßen mit Sicherheit nicht: ein Zeichen für einen übersäuerten Körper.
(Übrigens: angeblich stellen auch Ärzte an Hand von saurem Aufstoßen die Diagnose der „Übersäuerung, – dies kann und will ich aber gar nicht glauben).
Dann wäre da noch die Haut, auch sie ist sauer. Sie bildet einen natürlichen Säureschutzmantel, der – wie könnte es anders sein – der Abwehr von Mikroorganismen dient. Zerstört man den Säureschutzmantel etwa durch zu häufiges Waschen mit basischen Seifen, kommt es zu vermehrten Ausschlägen und Infektionen der Haut. Um dies zu verhindern gibt es mittlerweile pH-neutrale und sogar saure Seifen, die den Säureschutzmantel eben nicht zerstören, sondern sogar pflegen. Auch im Bereich der Haut ist „Säure“ ein Zeichen von Gesundheit und nicht von Krankheit.
Das Übelste aller Argumente ist aber der saure Urin. Da gibt es doch tatsächlich Leute, die wollen anhand eines Streifentests des Harns eine Übersäuerung des Körpers diagnostizieren. Das ist aber schlichtweg Humbug und peinlich für den, der das macht.
Denn auch hier gilt das dasselbe wie zuvor: der Harn eines gesunden Menschen ist schwach sauer (pH etwa 6,0) oder neutral. Und warum ist das so? Jawohl, um Infektionen zu verhindern, denn die Gefahr, dass Bakterien über die Öffnung der Harnröhre in den Körper eindringen ist groß. Erst wenn der Harn basisch wird, besteht Handlungsbedarf. Denn der basische Harn ist ein gutes Zeichen für einen Harnwegsinfekt, eine Behandlung ist dann rasch erforderlich.
Ein saurer Harn lässt also nicht die Diagnose der „Übersäuerung“ zu. Eine solche Feststellung ist eher ein Zeichen für fehlende Sachkenntnis.
Als letztes Beispiel für gewollte Säure im Körper ist das sauer Milieu in der Scheide einer Frau. Auch die Scheide ist eine Körperöffnung, über die Bakterien in das Innere des Körpers gelangen können. Und deshalb ist das Milieu der Scheide auch sauer. Um die Fortpflanzung zu ermöglichen wird der Säuregrad der Scheidenflüssigkeit in den fruchtbaren Tagen einer Frau hormonell angehoben, denn schließlich sollen die Spermien nicht beschädigt werden. Dieser Vorgang beweist einmal mehr, wie kompliziert sich die pH-Regulation des Körpers gestaltet und wie Mutter Natur an alles „denkt“.
Natürlich gibt es auch die echte „Übersäuerung“ des Blutes. Eine solche ist aber immer Anzeichen einer schweren Krankheit entweder der Nieren oder der Lunge.
Sie bedarf einer sofortigen Therapie durch Spezialisten und ist so gut wie immer mit Hospitalisierung verbunden.
Ganz zuletzt noch der übliche gute Rat, der hier gar nicht teuer ist:
Mit Basenpulver kann man zwar den Säuregrad des Magensaftes für kurze Zeit verändern, nicht aber den pH des Blutes, Streifentests des Harns sind kein probates Mittel um den Säuregrad des Körpers fest zu stellen.
Saures Aufstoßen bedarf der Abklärung durch seriöse Medizin, ein Anzeichen für eine Übersäuerung des Körpers ist es aber nicht.
Mit der Auswahl der Nahrung den pH-Wert des Blutes beeinflussen zu wollen klingt banal, funktioniert aber nicht. Am ehesten führt noch Alkohol zu einer vorübergehenden Verschiebung des pH-Wertes mit entsprechender Klinik (etwa der Auslösung von Gichtanfällen).
Dr. Georg Pfau, Männerarzt
Überabeitet in Meran am 1. Juni 2021