Die Crux mit dem, was man als „Normalwert“ bezeichnet

Nicht alles was normal ist, ist auch gut. Denn es gibt „Normalwerte“, die keine sind!

Der 27-jährige Stefan ist höchst verunsichert. Lag er mit seinem Testosteronwert bei der letzten Messung noch deutlich unter dem Normalwert, soll jetzt plötzlich alles in bester Ordnung sein. Obwohl der gleiche niedrige Wert gemessen wurde und die damit in Zusammenhang stehenden Beschwerden sich nicht gebessert haben.

Was war passiert? Ganz einfach: die Normalwerte wurden geändert!

So möchte man aus einem kranken Mann einen gesunden machen.

Zu den Fakten: während sich bis vor kurzem der Testosteronspiegel eines Mann in dieser Altersklasse noch zwischen 3,0 und 8,27 ng/ml bewegen sollte, (was auch schon sehr weit gefasst war!), beginnt der Normalwert in dieser Altersgruppe plötzlich schon bei 1,86!

Auf dem Befund des Labors steht ganz lapidar: „ACHUNG! Geänderte Normalwerte!“

Wohlgemerkt: an der Messmethode hat sich nichts geändert, an der Maßeinheit auch nicht, die ist immer noch Nanogramm pro Milliliter.

Was hier passiert ist, ist ein eigenartiges Phänomen in der Medizin. In bestimmten Kollektiven (zum Beispiel dem der 27-jährigen Männer) evaluierte Durchschnittswerte werden ganz salopp zu Normalwerten erklärt. So entsteht der Eindruck es wäre alles in bester Ordnung. Ist es aber nicht.

Nur weil die Menschen immer dicker werden, kann man das höhere Durchschnittsgewicht nicht zum Normalwert machen, denn Übergewicht birgt ein Krankheitspotenzial.

Und dass Männer immer weniger Testosteron produzieren ist zwar Fakt, aber auch das ist nicht normal, sondern der Ausdruck einer krankhaften Entwicklung.

Tatsächlich scheinen junge Männer geringere Testosteronwerte zu haben als die Generation ihrer Väter. In sehr wahrscheinlich klingenden Hypothesen werden der Lifestyle – zu viel Sitzen und zu wenig Bewegung – und eine Umweltverseuchung mit Östrogenen (weiblichen Sexualhormonen) dafür verantwortlich gemacht. Dieser führt zu einer Verminderung der Testosteronsynthese in den Hoden und in Folge dessen dazu, dass Männer immer weiblicher werden. Für die dabei beobachtete „Angleichung“ des Männlichen an das Weibliche gibt es auch schon einen Fachausdruck: man nennt sie Geschlechtsrollendiffusion.

Zurück zu den Normalwerten: der Brauch, Normalwerte aus Durchschnittswerten eines „Normkollektivs“ zu definieren muss kritisiert werden, wenn das Kollektiv selbst krank ist. So entstehen irreführende Normen, mit denen nicht nur Laien schlecht um zu gehen wissen.

Im Falle des Testosteronwertes bedeutet dies, daß sich der mit der Thematik vertraute Arzt bei der Diagnose von Testosteronmangel kaum mehr an die angegebenen Normalwerte halten kann.

Die Diagnose eines Testosteronmangels und die Indikation zur Hormongabe wird sich immer mehr nach den Symptomen richten müssen, – das Labor spielt hier nur mehr eine marginale Rolle.

Im übrigen sollen ja auch Krankheiten behandelt werden, – und nicht Laborwerte.