Spermidin – Wundersubstanz im Samen

(Zuletzt bearbeitet im Juli 2021).

Es gibt einen Stoff in den Zellen jedes Menschen, der auch in manchen Nahrungsmitteln steckt, z.B. im Parmesan, den man über die Pasta reibt, und der bei reichlichem Genuss den Herztod um 50% senken kann (Madeo, Uni Innsbruck).

Dieser Stoff heißt Spermidin.

Er ist in den letzten Jahren Gegenstand internationaler, seriöser Forschungen. Seine Auswirkungen auf den Menschen können mit jenen Effekten verglichen werden, die das bewährte Prinzip des „Kalorienreduzierens“ – also des „Fastens“ – haben: es erhöht die Lebensdauer von Zellen und somit die Lebenserwartung.

Das Prinzip des Fastens beruht darauf, dass die Zelle durch das fastenbedingte Energiedefizit gezwungen ist, abgelagerte Stoffe zur Energiegewinnung zu verwerten. Dadurch „schlägt die Zelle gleich zwei Fliegen mit einer Klappe“ sagt Madeo. Denn dadurch wird nicht nur das Energieproblem gelöst, es werden auch Stoffe abgebaut, die nicht mehr benötigt werden und vielleicht sogar potenziell schädlich sind.

Spermidin kann diesen Effekt imitieren, es induziert ebenfalls die „Autophagie“ schädlicher Substanzen in den Zellen. Dadurch kommt es zur Reduktion von Entzündungen und Minimierung von oxidativem Stress, was natürlich ganz allgemein die Zellalterung entschleunigt. Spermidin kann daher als „calorie-restriction-mimetic“ bezeichnet werden, wovon ja schon einige bekannt sind (Resveratrol, Rapamycin, Metformin oder Epigallocatechingallat, der Hauptwirkstoff des Grünen Tees). Alle diese Substanzen sind in der Lage die Lebenserwartung zu erhöhen (im Fachjargon nennt man sie daher „life-span-extender“).

Wie der Name schon sagt ist Spermidin in der Samenflüssigkeit der Männer enthalten. Es wird in der Prostata durch biochemische Veränderung der Aminosäure Arginin gebildet und gelangt mit der Samenflüssigkeit in die Gebärmutter der Frauen, wo es mit den Zellen der Schleimhaut interagiert und Reaktionen in deren Immunsystem provoziert. Das alles dient dem Einnisten der Eizelle, also auf unmittelbare Art und Weise der Fortpflanzung.

Die Frage, ob auch vasektomierte Männer (das sind Männer deren Samenleiter zum Zwecke der Verhütung durchtrennt wurden) über Spermidin im Sperma verfügen, ist nicht so einfach zu klären. Einerseits stammt Spermidin aus der Prostata, über deren Sekret auch vasektomierte Männer verfügen, andererseits befindet sich Spermidin als Eiweißkörper in den Ribosomen und den Zellkernien der Samenfäden. Diese fehlen natürlich beim vasektomierten Mann, was zu einer Verminderung des Spermidingehaltes führen muss.

Neuesten Forschungen (Nature medicine, VOLUME 22 | NUMBER 12 | DECEMBER 2016) zufolge zeigt Spermidin auch in anderen Zelltypen seine Wirkung, so auch zum Beispiel an den Herzmuskelzellen.

Leider ist es so, dass bei allen Menschen die Spiegel an Spermidin mit zunehmendem Alter abnehmen, mit Ausnahme bei den „Centenarians“ – so nennt man in der Alternsforschung über hundertjährige Menschen (Pucciarelli et al, 2012).

Allerdings – und das ist die gute Nachricht – ist spermidinreiche Kost geeignet, den Gehalt an Spermidin im menschlichen Körper zu erhöhen. Spermidin ist somit neben anderen Methoden wie „restriction of calories“ ein neuer, vielversprechender und nebenwirkungsloser Zugang zur Entschleunigung des Zellalterns.

Natürliche Quellen von Spermidin sind neben der Samenflüssigkeit auch verschiedene Nahrungsmittel.

Weizenkeime, Sojabohnen und Zitrusfrüchte enthalten große Mengen an Spermidin, aber auch Äpfel und gewisse Käsesorten (Parmesan) sind nicht zu unterschätzen. Ganz besonders spermidinreich ist Natto, ein traditionelles japanisches Lebensmittel. Die Sojabohne wird dabei mit einem speziellen Bakterium behandelt, das einen Fermentationsprozess einleitet.

Grundsätzlich gilt Spermidin als harmlos und gefährliche Nebenwirkungen sind nicht bekannt. Es ist daher leicht möglich durch spermidinreiche Kost in den Genuss seiner Wirkung zu kommen. Dass die Pharmaindustrie an einer Vermarktung dieser Substanz Interesse hat, ist begrüßenswert.

Dr. Georg Pfau im Mai 2017, ergänzt Oktober 2019

Dieser Artikel beruht auf einem Vortrag von Univ.Prof. DDr. Johannes Huber bei der Tagung des „Endokrinen Kreises“ im Mai 2017