Vasektomie

(Zuletzt bearbeitet im August 2021).
…vorweg eine Klarstellung:

Gleich vorweg – um Missverständnisse zu vermeiden – ich selbst mache keine Vasektomien. Ich bin Sexualmediziner und weder Chirurg noch Urologe. Gerade deshalb fühle ich mich allerdings berufen, darüber wertfrei zu informieren.

Meine Erfahrungen mache ich aus dem Gedankenaustausch mit Kollegen, bei Kongressen und in meiner Praxis. Ich habe sehr viele Patienten vor dem Eingriff beraten, weil sie sich von ihrem Operateur nicht ausreichend informiert fühlten, – und: ich habe sehr viele Patienten nach dem Eingriff kennen gelernt, die ihn bereut haben oder Probleme gehabt haben, über die sie nicht aufgeklärt waren.

Begriffsbestimmung

Unter einer Vasektomie versteht man die Durchtrennung der Samenleiter des Mannes zum Zweck der Empfängnisverhütung. Die Endgültigkeit dieser Maßnahme und die möglichen Folgen sollten durchaus ein Anlass für Diskussionen sein. Lassen Sie sich nicht ohne ein ausführliches Aufklärungsgespräch operieren. Eigentlich ist es Sache des Operateurs von sich aus zu einem solchen Aufklärungsgespräch einzuladen. Sie sollten dabei die Möglichkeit haben, alle offenen Fragen zu stellen.

Die „Fruchtbarkeit“ eines Mannes ist ein wesentlicher Bestandteil seiner sexuellen Identität und seiner bio-psycho-sozialen Gesundheit. Es ist schon richtig, daß es sich um einen kleinen Eingriff handelt, doch das rechtfertigt nicht in jeden Fall seine Durchführung.

Operationstechnik

In einer ambulanten Operation wird der Hodensack über ein paar Zentimeter eröffnet, beide Samenleiter werden aus dem Samenstrang freipräpariert, durchtrennt und abgebunden. Die im Hoden gebildeten Samenzellen können so ihre Produktionsstätte nicht mehr verlassen. Das Ejakulat (Samenflüssigkeit) ist frei von Spermien und die Zeugung eines Kindes wird auf Dauer unmöglich.

Die Ängste der Männer

Die Ängste der Männer betreffen hierbei mögliche Einschränkungen in der Sexualität oder negative Auswirkungen auf ihre Männlichkeit. Doch hier kann man getrost Entwarnung geben, wenigstens für die nächsten Jahre. Sexuelle Lust, Erektionsfähigkeit und auch Orgasmus werden durch diesen Eingriff unmittelbar nicht verändert, es sei denn durch psychische Interaktionen, die allerdings nicht so selten sind. Selbst eine Veränderung der Samenflüssigkeit (des Ejakulates) kann augenscheinlich nicht wahrgenommen werden, lediglich im Mikroskop sieht man, dass im Sperma keine Samenfäden mehr enthalten sind.  Dies ist aber gewünscht, der eigentliche Sinn des Eingriffs.

Das Bewusstsein, die reproduktive Dimension der Sexualität mit der Vasektomie endgültig beseitigt zu haben, mag für manchen Mann die Lust am Sex beflügeln. Als Sexualmediziner weise ich aber daraufhin, das „guter“ Sex nicht aus der „sexuellen Handlung“ einsteht, sondern aus einer „Stimmung“ heraus. Der rein technische Geschlechtsverkehr spielt in der Beziehung eine wesentlich geringere Rolle als man dies erwarten könnte.

Wie auch immer, die geplante Vasektomie sollte Anlass sein für eine kritische Diskussion VOR dem Eingriff. Ich kenne Männer, die diesen Eingriff bereuen, sei es wegen biologischer Probleme (=> Wunsch zur Rückoperation) oder einer postoperativen Störung der Psyche.

Mögliche somatische Komplikationen

Wie bei jeder Operation können auch hier Infektionen gesetzt werden. Dies ist aber sehr selten, sie lassen sich auch einfach behandeln und machen üblicherweise keine Komplikationen. Sehr viel häufiger sind postoperative Schmerzen und Schwellungen in den Hoden. Diese geben sich meistens nach einigen Wochen, manchmal müssen über einen gewissen Zeitraum Medikamente eingenommen werden.

Manche Männer leiden postoperativ auch längerfristig an Schmerzen im Hodensack und führen diese auf die Vasektomie zurück. Eine Untersuchung verläuft meistens ergebnislos. Inwieweit hier wirklich biologische Schmerzen vorhanden sind oder ob diese Schmerzen nicht psychosomatisch bedingt sind, lässt sich schwer unterscheiden. Für den von ihnen verursachten Leidensdruck ist dies allerdings unerheblich.

Für das subjektive Empfinden ist es gleichgültig, ob es sich um biologisch bedingte Beschwerden handelt oder ob sie „biologisch“ nicht erklär bar sind, denn sie sind ganz einfach da. Der Mensch besteht eben nicht nur aus der Biologie, er ist mehr als die Summe seiner Zellen, er ist ein bio-psych-soziales Wesen.

Man kann diese drei Dimensionen auch nicht trennen. Jeder Mensch ist jederzeit zu 100 Prozent ein biologisches Wesen, gleichzeitig zu 100 Prozent ein psychologisches und ebenfalls zu 100 Prozent ein soziales Wesen.

Ein  ganzheitlich denkenden Arzt wird sich hüten, die 3 Dimensionen des Menschseins voneinander trennen zu wollen, denn er wird scheitern. Etwa so: „Grüß Gott, Herr Meier! Wollen wir gleich mal abklären, sind Sie heute mit Ihrer Biologie in diese Sprechstunde gekommen, oder mit Ihrer Psyche?“ Eine solche Vorgangsweise ist nicht sinnvoll, das ist wohl jedermann verständlich.

Mögliche psychische Komplikationen

So wie die Menge des Samens ist auch dessen Qualität für die meisten Männer von grundsätzlicher Bedeutung. Sie ist also narzistisch besetzt, ähnlich wie die Größe des Penis oder der Hoden und ebenso wie noch viele andere Attribute des Mannes.

Zeugungsunfähigkeit kann das Selbstwertgefühl der Männer negativ beeinflussen, offenbar selbst dann, wenn sie bewusst und mit Einverständnis herbeigeführt wurde. Manche Männer bedenken nicht die Auswirkungen einer Vasektomie auf deren psychische Befindlichkeit nach der Operation. Auch dies sollte Bestandteil eines Aufklärungsgespräches sein.

Die „Sexuelle Identität“ beschreibt die Befindlichkeit eines Mannes „als Mann“. Öfter als angenommen kommt es nach einer Vasektomie zu einer Störung eben dieser sexuellen Identität. Ich habe schon viele Männer behandelt, die die durchgeführte Vasektomie schlecht „verarbeitet“ haben, sich defizient fühlen, obwohl der Kinderwundsch als abgeschlossen galt. Alleine das Bewusstsein, nicht mehr fruchtbar zu sein kann also psychogene Störungen verursachen. Dies ist nicht neu, sowas gibt es auch bei primär zeugungsunfähigen Männern. Für viele Männer gehört ein gesunder Samen eben zur Gesundheit eines Mannes.

Es gibt Männer, die sich aufwändiger Refertilisierungsoperationen unterziehen, obwohl sie keinen weiteren Kinderwunsch haben. Dies ist die Folge eines Defizienzgefühles nach durchgeführter Vasektomie.

Hier geht es um die sexuelle Identität, dem Selbstwertgefühl als Mann. Die sexuelle Identität hängt von vielen Faktoren ab, von der psychosexuellen Entwicklung, von Erfahrungen aus der Beziehung, aber auch von der biologischen Gesundheit eines Mannes, zu der zweifelsohne die Fortpflanzungsfähigkeit gehört.

Vasektomie und Testosteronspiegel

Der Testosteronspiegel entscheidet maßgeblich über die sexuelle Identität („wie fühle ich mich als Mann?“ =>siehe dort!) des Mannes. Der mit dem Älterwerden fallende Testosteronspiegel bedingt den Wechsel des Mannes und kann häufig zu Problemen führen. Um den Testosteronspiegel eines Mannes ohne Hormonersatz zu steigern, empfiehlt man den Männer auf ihren Lifestyle zu achten. Neben verschiedener anderer Massnahmen gelten regelmäßige Ejakulationen wegen des dabei stattfindenden Verbrauchs an Samenzellen als wirksamer Anstoss zur Testosteronsynthese.

Selbstverständlich haben auch vasektomierte Männer Ejakulationen, es werden dabei aber keine Samenzellen verbraucht. Deren Weg ist ja durch die Vasektomie im wahrsten Sinne des Wortes unterbunden.

Es wird  behauptet, dass eine Vasektomie keinen negativen Einfluss auf die Entwicklung des Testosteronspiegels nimmt. Ich selbst stelle aber fest, daß Männer, die mit zunehmendem Alter wegen Testosteronmangel Hormongaben brauchen, sehr häufig vasektomiert sind. Allerdings handelt  es sich hierbei um persönlich Beobachtungen, die nicht den Anspruch erheben, einer wissenschaftlichen Untersuchung zu genügen.

Ein reges Sexualleben ist eine der Säulen mit denen Männern ihre Testosteronsynthese aktivieren können. Man nimmt an, dass der Verbrauch von Samenzellen beim Sex einer der Stimuli für die Hormonproduktion im Hoden ist und dass – wie im Falle der Vasektomie – die Unterbindung dieses Vorganges daher kontraproduktiv sein könnte.

Der „soziale“ Aspekt der Vasektomie

Vor jeder Vasektomie sollte man auch darüber nachdenken, inwieweit die Familienplanung definitiv abgeschlossen sein kann. Wir wissen nicht genau wieviele der vasektomierten Männer den  Wunsch nach Rückoperation hegen, dass es sie aber gibt ist unbestritten. Jeder einzelne dieser Fälle ist ein Beweis für Fehleinschätzungen und falsch gestellte Indikationen.

Die Frage nach abgeschlossenem Kinderwunsch scheint von Männer manchmal vorschnell positiv beantwortet zu werden.

Männer müssen dabei bedenken, dass sie grundsätzlich ein Leben lang zeugungsfähig bleiben. Die biologische Uhr, die einen gewissen Zeitdruck bei der Familienplanung bedingt, ist eher ein weibliches Problem. Für den Mann ist es angesichts lebenslanger Reproduktionsfähigkeit sehr viel riskanter für das gesamte Leben gültige Prognosen ab zu geben. Oder wissen Sie, was in 20 Jahren ist? Unvorhergesehene Ereignisse, der Verlust der Partnerin durch Ehescheidung oder Schicksalsschläge können den bereits abgeschlossenen Wunsch nach Kindern neu beleben.

Im Unterschied zur Frau, die von Natur aus nur eine begrenzte Zeit fortpflanzungsfähig ist, gehen also Männer mit dem Entschluss zur Vasektomie ein möglicherweise schwer zu kalkulierendes Risiko für die Zukunft ein.

Rückoperation

Bei Rückoperationen nach Vasektomie werden die durchtrennten Samenleiter wieder verbunden. Doch so einfach wie die Durchtrennung ist das nicht. Es gelingt nur in einem Bruchteil der versuchten Operationen und ist aufwändig und teuer. (Anm.: Chirurgen geben unterschiedliche Erfolgsquoten für die von ihnen durchgeführten Operationen an. Die Erfahrung lehrt, dass diese häufig zu optimistisch sind.) Auch diese Operation ist vom Mann selbst zu bezahlen. Bei Scheitern der Revascularisierung bleiben noch weitere Möglichkeiten, einem Mann zu eigenen Kindern zu verhelfen. Die Entnahme von Spermien aus den Hoden und eine damit versuchte In-vitro-Fertilisation („Retortenbaby) ist eine der Möglichkeiten. Vorausgesetzt, man(n) scheut nicht die damit verbundenen Belastungen und vor allem die Kosten.

Zum Thema der Refertilisierung wäre zu erwähnen, dass es in Deutschlend Stimmen gibt, die glauben, dass der Hoden nach einer Vasektomie die Spermiogenese binnen einiger Jahre vollkommen beendet. Dies ergaben Untersuchungen an vasektomierten Männern. Es könnte also sein, dass die geringe Refertilisierungsrate bedingt ist durch einen Spermiogenesstop im Hoden nach Vasektomie. Auch dieses Argument wäre zu bedenken.

Resumée

Die Vasektomie ist nur scheinbar die komplikationslose Methode zur Empfängnisverhütung, als die sie propagiert wird. Mögliche Auswirkungen auf Körper und Psyche müssen bedacht werden. Auch die Unmöglichkeit einer exakten Lebensplanung bis zum Tod ist ein Argument, mit der Indikationsstellung etwas restriktiver umzugehen.

Die Durchtrennung der Samenleiter ist ein kleiner Eingriff, die Auswirkungen können aber sehr vielschichtig sein. Ich bekomme zu dieser Thematik sehr viele Emails, nicht weniger Männer kommen zu mir in die Praxis.

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