Keine Lust mehr?

(Zuletzt bearbeitet im August 2021).

Wenn Männer wegen „Müdigkeit“ in meine Praxis kommen, meinen sie manchmal, dass sie beim Training nicht so erfolgreich sind wie sie sich das wünschen würden, meistens meinen sie aber, dass sie keine Lust (mehr) haben auf Sex.

„Müde“ Männer gibt es nicht so wenige, jedenfalls ist das Thema ein Dauerbrenner in meiner Praxis. Tendenz steigend.

Die „Müdigkeit“ eines Mannes – sei nun fehlender Trainingserfolg oder auch sexuelle Lustlosigkeit damit gemeint – kann viele Ursachen haben, deren Evaluierung sich manchmal komplizierter gestaltet als man das denken würde. Jedenfalls gibt es viele Gründe dafür, manche liegen im Bereich der Biologie – Testosteronmangel zum Beispiel –  manche auch im Bereich der Psychosomatik, manche nochmals woanders. In jeden Fall ist das Anliegen der Männer erst zu nehmen und eine Strategie für dessen Lösung zu finden.

Hinter jedem lustlosen Mann steht eine enttäuschte Frau. Das ist die Beziehungsdimension der Lustlosigkeit, die zu sexueller Unzufriedenheit beider Partner führt. Der eine fühlt sich überfordert, der andere nicht wahrgenommen, das Ergebnis ist sexuelle Unzufriedenheit, die zur Destabilisierung der Beziehung führt, nicht selten auch zu deren Ende. „Lustlosigkeit“ von Männern (und Frauen) ist behandlungsbedürftig. Zuvor muss sich jemand bemühen den Grund dafür heraus zu finden. Und das ist nicht immer leicht. Der Weg zum Männerarzt wäre ein guter Beginn.

Für die „Lustlosigkeit“ der Frau scheint ja nun eine Lösung gefunden worden zu sein, wenn auch in meinen Augen eine höchst umstrittene. Zwei Mal hat die US-Arzneimittelbehörde das „Viagra für Frauen“ durchfallen lassen, im letzten Jahr endlich hat die Lustpille die Zulassung erhalten. Die FDA billigte die Substanz „Flibanserin“, die die weibliche Lust im Bett steigern soll.

Was als „Viagra für Frauen“ die Runde machte, ist natürlich nicht dasselbe wie das „Männer-Viagra“ und wirkt auch vollkommen anders. Das originale Viagra (ein Markenname der Firma Pfizer für die Substanz Sildenafil, Anm.d.Verfassers) ist eine gefäßaktive Substanz. Sie erweitert die Gefäße und verbessert die Durchblutung des Schwellkörpers, wodurch es zu einer Verbesserung der Erektion kommt. Das „Männer-Viagra“ hat keine Wirkung auf die Sexualzentren des Gehirns, wirkt also in keiner Weise luststeigernd.

Ganz anders wirkt die Lustpille für die Frau: das Hauptproblem in der weiblichen Sexualität ist die (subjektiv als defizitär wahrgenommene) zu geringe Lust auf Sexualität, die durch die neue Tablette gesteigert werden soll.

Und hier liegt die Gefahr bei dem neuen Medikament: alleine das Wissen um seine Existenz kann Frauen unter Druck setzen. Ich stelle mir schon die vielen in ihrer Sexualität unterforderten Männer vor, die das neue Medikament als Chance sehen, ihre Frauen dorthin zu bringen, wo sie sie schon immer haben wollten. Nämlich:  „allzeit bereit“ zu sein. Sie werden ihre Partnerinnen drängen neben der Verhütungspille auch noch die Lustpille zu nehmen.

Zweifelsohne wird dieses Medikament zu einer weiteren Leistungssteigerung „im Bett“ führen, einer Tendenz, die in unserer Gesellschaft die Sexualität nicht beflügelt, sondern eher zerstört.

Auch diese „Pille“ wird – wie schon die Verhütungspille – die Frauen nicht „befreien“, sondern sie unter Druck setzen. Mir graut schon heute vor jenen Männern, die ihren Frauen die Lustpille heimlich geben, wenn sie nicht so wollen, wie sie wollen.