Wie viele Hormone braucht der Mann?

(Zuletzt bearbeitet im Juli 2021).

Wenn wir hier von Hormonen reden dann meinen wir hauptsächlich die Sexualhormone, konkret das Testosteron. Man hat für das Testosteron einen „Normalwert“ festgelegt, der sehr weit gefasst ist und alle Altersgruppen von Männern zu jeder Tageszeit umfasst. Er reicht von 3,00 bis 8,27 ng/dl.

Soweit so gut: obwohl international noch gültig (z.B. in Deutschland, der Scweiz, Frankreich, UK, USA), wurden diese Werte in Österreich verändert. Seit etwa 2018 beginnt in Österreich Testosteron schon ab einem Wert von 1,86 ng/ml und über 50 Jahre sogar schon bei 0,86 ng/ml normal zu sein. (Anmerkung: ich muss zwar irgendwie damit arbeiten, richte mich aber wenn möglich nach den Normalwerten der internationalen Staatengemeinschaft, denn einen Wert von 0,86 ng/ml als normal zu titulieren, hiesse, einen Mann zu kastrieren).

Normalwerte berechnen sich üblicherweise als der Durchschnitt eines Normkollektivs, die Bedeutung für den einzelnen, individuellen Mann ist daher sehr gering. Dazu kommt, dass der Durchschnitt eines älteren Normkollektivs kaum verwertbar ist, da der Durchschnitt aus einer Gruppe von Männern ermittelt wurde, die zum größten Teil selbst substitutionsbedürftig ist.

Es ist zu erwarten, dass es immer wieder Grenzwertkorrekturen geben wird. Sie sind aber nur ein Anhaltspinkt und keine absolute Größe. Endokrinologen sind der Meinung, dass sich Männer mit ihrem Testosteronwert im hochnormalen Bereich befinden sollten, also über 5,0 ng/ml. Dennoch ist die Frage nach dem richtigen Hormonspiegel damit nicht beantwortet, denn die Interpretation von Hormonspiegeln ist gar nicht so einfach und bedarf einer fundierten Ausbildung und reichlich Erfahrung.

Laborwerte geben nur geringen Aufschluss über die Testosteronausstattung eines Mannes. Leider stehen sie immer noch immer Mittelpunkt bei der Beurteilung möglicher Mangelzustände. Die Indikation zur Testosteronsubstitution muss aber über die Befindlichkeit des Mannes gestellt werden und über den Erfolg der eingeleiteten Behandlung.

Der gemessenen Testosteronspiegel ändert sich mit dem Alter und in einem 24-Stunden-Rhythmus und muß daher in Relation dazu gesetzt werden. Ausserdem sagt ein Laborwert nichts darüber aus, wieviel von dem gemessenen Testosteron auch tatsächlich biologisch aktiv ist. Dafür is es erforderlich, das Freie Testosteron zu kennen, welches aber bisher sehr schwierig zu bestimmen war. Seit einigen Jahren, etwa seit 2019, ist es möglich den Anteil des bioverfügbaren Testosteron am Gesamttestosteron, den FAI (freier Androgenindex), zu bestimmen, was ich in meiner Praxis auch routinemäßig mache. Es gibt auch noch andere Variable, die die Testosteronwirkung beeinflussen: die Rezeptordichte und die Rezeptorbeschaffenheit.  Beides sind primär genetische Größen.

Die Thematik ist also sehr komplex, deshalb ist der Haupt-Parameter, der in der Endokrinologie des Mannes eine Rolle spielen sollte seine Befindlichkeit. Umgekehrt gesagt: das Wohlbefinden eines Mannes ist für die Beurteilung eines Testosteronmangelsyndroms bedeutsamer, als der Laborwert. Mit dieser in meinen Augen vernünftigen Vorgangsweise stößt man aber auf Kritik. Meist werden ausschliesslich die gemessenen Werte als Indikation für oder wider eine Testosteronbehandlung herangenommen.

Aber was nützt ein „schöner“ Testosteronspiegel, wenn man(n) sich damit nicht wohl fühlt, und mit wieviel Testosteron sich welcher Mann wohlfühlt ist sehr verschieden und hängt von vielen Faktoren ab.

„Wieviel Hormone braucht also der Mann?“ Ganz einfach: so viel, daß sein Wohlbefinden gewährleistet ist. Und diese „Wohlfühlschwelle“ herauszufinden ist Sache des Arztes. Laborwerte spielen hier eine eher untergeordnete Rolle.